Strahlentherapie bei Brustkrebs

Ein Interview mit Dr. med. Sandra Röddiger und Dr. med. Ralf Kurek, Fachärzte für Strahlentherapie und Ärztliche Leiter der Strahlentherapie Ostalb

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In vielen Bereichen der Medizin verändern sich die Therapiekonzepte im Laufe der Zeit. Neue Forschungsergebnisse werden umgesetzt, aber auch neue Technik bringt Veränderung. So gibt es auch in der Therapie der häufigsten Krebserkrankung der Frau, dem Brustkrebs, eine stetige Weiterentwicklung.

Dr. med. Sandra Röddiger: Das ist richtig. Mein Mann und ich arbeiten nun seit über 20 Jahren in dem Fachgebiet der Strahlentherapie. Wie die Therapie damals war, ist sie heute nicht mehr. Und das ist sehr gut so! Das gemeinsame Ziel von medizinischer Forschung und technischer Entwicklung ist es ja, die Therapie bei mindestens gleicher Wirksamkeit immer schonender und verträglicher werden zu lassen. Individuell maßgeschneiderte Therapien verbessern zusätzlich die Prognose und vermeiden ein „over-treatment", also ein Zuviel des Guten.

Können Sie ein Beispiel für eine individualisierte Therapie nennen?

Dr. med. Sandra Röddiger: Solche maßgeschneiderten Therapien sehen wir z.B. bei der Hormonentzugstherapie: Hier werden zuvor die Tumorzellen getestet, ob sie auf ihrer Zelloberfläche Hormonrezeptoren, d.h. die Andock-Stellen für Hormone wie Östrogen und Progesteron, tragen. Nur bei diesen Patientinnen macht eine zusätzliche Hormonentzugstherapie überhaupt Sinn.

Wie sieht dies für den Bereich der chirurgischen Therapie aus?

Dr. med. Sandra Röddiger: Auch die Operation wird – wenn möglich – immer schonender und minimal- invasiver durchgeführt. Wurde früher oftmals gleich die gesamte Brust abgenommen, hat man zwischenzeitlich gesehen, dass in vielen

Fällen eine brusterhaltende Operation vorgenommen werden kann. Um die Rückfall-Quote gleich niedrig zu halten wie nach einer vollständigen Brustentfernung, ist hierbei dann noch eine Bestrahlung notwendig. Heutzutage genügt auch oftmals nur die Entfernung des entsprechenden Wächter-Lymphknotens anstelle der Operation des gesamten Lymphgebietes in der Achselhöhle.

Auch in der Strahlentherapie geht der Trend zur schonenden, maßgeschneiderten Bestrahlung.
Wie kann man sich das konkret vorstellen?

Dr. med. Ralf Kurek: Eine maßgeschneiderte Bestrahlung wird heute zum einen durch eine 3D-Bestrahlungsplanung mittels eines Computertomografen gewährleistet, welche die zuvor übliche 2D-Bestrahlungsplanung mittels Röntgendurchleuchtung abgelöst hat. Man kann sich leicht vorstellen, dass eine dreidimensionale Planung bessere Ergebnisse bringt als eine 2D-Betrachtung. Der Mensch ist ja auch ein dreidimensionales Wesen! Und jeder von uns ist zwar in der „Grundausstattung" gleich, aber dann doch im Detail verschieden.

Wie meinen Sie das?

Dr. med. Ralf Kurek: Nun, sagen wir mal, in der Regel hat jede Frau zwei Brüste und darunter zwei Lungenflügel und ein Herz. Das wäre sozusagen die „Grundausstattung". Aber so wie unsere Gesichter sich nicht gleichen, so ist auch unsere ganze Anatomie im Detail sehr individuell. Darauf nimmt die 3D-Bestrahlungsplanung Rücksicht. Kein Plan gleicht dem anderen, jeder wird nur einmal und nur für eine bestimmte Patientin berechnet.

Beeindruckend! Was kann man mit dieser Planung noch verbessern?

Dr. med. Ralf Kurek: Die Dosis im bestrahlten Gewebe kann gleichmäßiger verteilt und somit Überdosierungen, der sogenannten „Hotspots", aber auch Unterdosierung vermieden werden.

Zusätzliche Schonung vor allem von Herz und Lunge wird durch eine 4D-Bestrahlungsplanung erreicht: Beim sogenannten „Atem-Gating" wird zusätzlich noch die Bewegung des Brustkorbes während der Atmung in die Planung mit einbezogen. Bei der täglichen Therapie strahlt das Therapiegerät, der Linearbeschleuniger, hierbei tatsächlich nur dann, wenn die Patientin sich in einer optimalen Atemphase befindet, in welcher Herz und Lunge so gut wie möglich geschützt sind. Atmet sie aus dieser Phase heraus, schaltet das Gerät sofort ab.

Wie sieht es bei all dem technischen Fortschritt mit der Psyche der Patientinnen aus?

Dr. med. Ralf Kurek: Dieser Punkt ist mindestens genauso wichtig wie eine perfekt geplante und millimetergenau durchgeführte Bestrahlung. Man darf nie vergessen, dass eine Patientin, die gerade zur Strahlentherapie kommt, sozusagen „mittendrin im Krebsthema" ist. Selbst wenn die Prognose sehr gut ist und der Krebs auf lange Sicht geheilt, so ist während der Strahlentherapie alles noch sehr frisch und die psychische Bearbeitung in vollem Gange.
Prinzipiell ist das ja gut und wichtig in der Verarbeitung und Überwindung der Krankheit. Das Verständnis für diese psychische Ausnahmesituation ist absolut wichtig. Manchmal kann auch die Einbindung der Psychoonkologie hilfreich sein oder der Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe. Kurze Wartezeiten, ein schönes Ambiente in den Therapieräumen sowie Freundlichkeit und wertschätzender Umgang können zusätzlich helfen, eine notwendige Therapie angenehmer zu gestalten.

Die Themen Früherkennung und Mammografiescreening sind oft in der Diskussion. Was sagen Sie dazu?

Dr. med. Sandra Röddiger: Die Früherkennungsuntersuchung trägt entscheidend dazu bei, dass Brustkrebs in frühen Stadien erkannt und behandelt wird, wodurch sich die Prognose erheblich verbessert. Meine ganz klare Empfehlung: Regelmäßig hingehen und ohne Angst die Untersuchungen wahrnehmen!