Gabriele Dalferth

Eiszeitliche Flötentöne

Es ist ein hoher, zarter und eher feiner Ton, den Gabriele Dalferth aus Königsbronn der kleinen weißen Flöte entlockt. Je nachdem, welche Spieltechnik sie wählt, klingen die Töne mal ganz klar, mal etwas rauschend. Besonders sind sie jedoch immer. Mit dem, was man sonst mit Flötentönen verbindet, lässt sich diese Art von Musik nicht vergleichen. Die Flöten sind weder aus Holz noch aus Metall, diese sind aus Knochen. Sie sind Nachbauten eiszeitlicher Fundstücke. Gabriele Dalferth spielt sie nicht nur, die Kunst- und Musikpädagogin stellt sie auch her, hauptsächlich aus Schwanenknochen oder aus Mammutelfenbein. „Ich war schon als Kind von dem Buch Rulamann gefesselt, das in der Steinzeit spielt und habe mir immer vorgestellt, wie die Menschen damals wohl lebten. Mit dem Fund des kleinen Mammuts am Vogelherd bei Niederstotzingen und der Venus vom Hohle Fels im Achtal sowie der Gänsegeierflöte kam dann die Faszination für eiszeitliche Kunst." Rund 40.000 Jahre alt sind diese Kleinplastiken und stellen damit welt­weit die ältesten Zeugnisse figürlicher Kunst von Menschenhand dar. Seit Juni 2017 gehören die Fundstellen im Lone- und im Achtal zwischen Niederstotzingen und Blaubeuren bei Ulm zum UNESCO Welterbe.

Dort lebten in der letzten großen Eiszeit Gruppen von Menschen, überwinterten in Höhlen, gingen auf die Jagd und erschufen Kunstwerke, deren Bedeutung letztendlich nicht mit Sicherheit zu entschlüsseln ist. Figuren wie der Löwenmensch waren sicherlich Kultgegenstände, andere Tierfiguren und die Flöten könnten auch einen alltäglichen Charakter gehabt haben.

„Die Flöten aus unserer Region sind weltweit die ältesten Instrumente. Sie wurden aus den knöchernen Speichen von Schwänen oder Gänsegeiern hergestellt, manche waren auch aus Mammutknochen. Dafür wurde ein Elfenbeinstab in zwei Hälften aufgespalten, beide Teile einzeln ausgehöhlt und wieder zusammengefügt. Wenn man bedenkt, was für Werkzeuge die Menschen dafür zur Verfügung hatten, ist das eine technische und handwerkliche Meisterleistung." Ihre Flöten stellt sie wie die Menschen der Eiszeit aus Schwanenknochen oder Mammutelfenbein her. An Schwanenknochen zu kommen, ist sehr schwierig; umso glücklicher ist sie, wenn ein befreundeter Archäologe für sie entsprechendes Material hat. Anders sieht das bei Mammutelfenbein aus, das gibt es legal zu kaufen. Um aus Schwanenknochen

 

eine Flöte entstehen zu lassen, muss Gabriele Dalferth einiges an Zeit und Geschick einsetzen. „Ich säge die hohlen Knochen an beiden Enden auf, putze sie, koche sie aus und poliere sie innen mit Sand oder einem Lederband." Zum Schluss schabt sie sorgfältig und flach die Löcher ein. Dann heißt es, Geschick beim Spielen beweisen.


Darüber, wie die Menschen vor 40.000 Jahren die Flöte genau spielten, gibt es nur Spekulationen, denn von keinem Fund ist ein vollständiges Mundstück erhalten. „Man orientiert sich deshalb beim Nachbau an den jüngeren Funden und baut sie entweder als einfache Röhre oder versieht sie mit einer Kerbe. Gespielt wird dann, indem man sie wie eine Panflöte überbläst oder wie bei einer Nayflöte die Luft seitlich über eine Kante bläst." Bedenkt man, mit welcher Kunstfertigkeit die Tierfiguren geschnitzt sind, wäre es durchaus denkbar, dass die Eiszeitflöten schon Kernspaltmundstücke oder rohrblattähnliche Mundstücke hatten.

Bei ihren Führungen im Archäopark in Niederstotzingen spielt Gabriele Dalferth regelmäßig. Zusammen mit ihrem Sohn Samuel, der Filmkomponist ist, hat sie eine CD mit Eiszeitmusik eingespielt. Zudem hat sie ein Kinderbuch geschrieben, das in der Eiszeit spielt; der Erlös kommt teilweise dem Förderverein „Eiszeitkunst im Lonetal" zugute. Eiszeitliche Konzerte finden am 29. Juni und am 21. September zusammen mit der Banda Maracatú aus Stuttgart im Hohle Fels bei Schelklingen statt.